Die 68er Bewegung - Deutschland, Westeuropa, USA

Die 68er Bewegung - Deutschland, Westeuropa, USA

 

 

 

von: Ingrid Gilcher-Holtey

C.H.Beck, 2001

ISBN: 9783406479830

Sprache: Deutsch

137 Seiten, Download: 1035 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

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Die 68er Bewegung - Deutschland, Westeuropa, USA



IV. Widersprüche: Zerfall und Nachwirkungen der Bewegung (S. 95-96)

Permanente Mobilisierung ist schwierig für schwach organisierte Akteure. Soziale Bewegungen sind daher ständig von Auflösung und Zerfall bedroht. Organisation ist ein Mittel zur Stabilisierung des Bewegungszusammenhanges. Die Gründung von Zeitschriften, um neue Akteure zu gewinnen, ist ein anderes Mittel. Gestützt werden kann der Zusammenhang sozialer Bewegungen aber auch durch die Bildung von Subkulturen, die die Kommunikation innerhalb des Netzwerkes mobilisierter Gruppen verdichten, oder durch charismatische Führer, die die Bewegung repräsentieren und kraft ihrer Persönlichkeit integrieren. Doch ist die Wirkung all dieser Mittel zwiespältig. Sie können die Bewegung auch spalten und die Mobilisierung brechen. Die 68er Bewegung, die sich als neue linke Bewegung versteht, zeigt im Prozeß ihres Zerfalls exemplarisch das Dilemma sozialer Bewegungen auf. Sie zerfällt in der Auseinandersetzung mit der Organisationsfrage in rivalisierende Gruppen, Parteien, Sekten und Subkulturen. Sie spaltet sich und verliert an Unterstützung ferner in der Auseinandersetzung mit der Gewaltfrage, die sich im Prozeß der Radikalisierung der Aktionen stellt und den Konflikt um die Organisationsfrage zuspitzt.

1. Sezession: Die Organisations- und Gewaltfrage

USA, August 1968: Am 5. Juni wird Senator Robert Kennedy Opfer eines Attentats. Tom Hayden und mehrere andere SDSMitglieder entschließen sich, nach New York zu fahren. Bevor die offiziellen Trauerfeierlichkeiten in der St. Patrick’s Cathedral beginnen, werden sie in der Nacht von einem Mitarbeiter Kennedys in die Kathedrale eingelassen. Gemeinsam mit Priestern und Mitgliedern der Familie durchwachen sie die Nacht, in deren Verlauf Tom Hayden aufgefordert wird, die Totenwache mit zu übernehmen. Neben dem Sarg Kennedys stehend, bricht er in Tränen aus. Als er am Morgen die Kathedrale verläßt, gibt es nur noch einen Gedanken in seinem Kopf: „Auf nach Chicago." Der Parteitag der Demokraten, der am 25. August 1968 beginnt, soll gezwungen werden, vor der Wahl des Präsidentschaftskandidaten zum Krieg in Vietnam Stellung zu nehmen. Aus allen Teilen des Landes sind Kriegsgegner angereist, doch bleibt die Zahl der Demonstranten weit hinter den Erwartungen der Organisatoren zurück.

Statt der erhofften 300 000 sind 10 000 gekommen. Angst vor gewaltsamen Konfrontationen mit der Polizei hat viele potentielle Teilnehmer vor allem aus der Friedensbewegung abgeschreckt. Was Jerry Rubin und Dave Dellinger, die bereits den „Marsch auf das Pentagon" (Oktober 1967) organisiert haben, für Chicago vorschwebt, ist eine Demonstration der „militanten Nicht- Gewalt" (Gitlin 1987: 320). Rubin versteht darunter die Organisation eines „Festivals des Lebens". Er will Chicago zum Forum der Selbstdarstellung der Yippies machen, der von ihm und Abbie Hoffman Ende 1967 gegründeten Internationalen Jugendpartei. Sein Plan sieht neben der Organisation von Rockkonzerten und Dichterlesungen sowie dem Aufmarsch von Nudisten für den Frieden u. a. vor, ein Schwein zum Präsidentschaftskandidaten zu küren und dieses durch die Straßen zu führen.

Die „anarchistische Verrücktheit" der Yippies ablehnend, hat die Black Panther Party ihre Mitwirkung an der Organisation der Demonstration zurückgezogen. Erst die strategische Überlegung, daß die Kulturrebellion der jungen Weißen eine Etappe auf dem Weg zu einer revolutionären Strategie sein könne, leitet unmittelbar vor Beginn der Demonstration eine Revision ihrer Entscheidung ein. Auf Bitten Tom Haydens kommt Bobby Seale, einer der führenden Repräsentanten der Black Panther, nach Chicago, um zu den Teilnehmern der Demonstration zu sprechen.

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