Diabetes mellitus. (Fortschritte der Psychotherapie, Band 36)

Diabetes mellitus. (Fortschritte der Psychotherapie, Band 36)

 

 

 

von: Gabriele Fehm-Wolfsdorf

Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, 2009

ISBN: 9783840912603

Sprache: Deutsch

118 Seiten, Download: 865 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

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Diabetes mellitus. (Fortschritte der Psychotherapie, Band 36)



3 Diagnostik (S. 46-47)
3.1 Indikation zur Psychotherapie


Alle Fachleute gehen davon aus, dass ein hoher Anteil von Diabetespatienten unter psychischen Problemen leidet, die behandlungsbedürftig sind, weil sie die Selbstbehandlung beeinträchtigen (Jacobson, 1996). Für den Hausarzt oder den Diabetologen sind diese Probleme meist nicht ersichtlich bzw. nicht einzuordnen. Ein Grund dafür besteht darin, dass die betroffenen Patienten mit dem Arzt nicht über ihre Gedanken und Gefühle sprechen, sondern dass sie im Wesentlichen bei ihm als dem kompetenten medizinischen Berater Unterstützung für ihre Selbstbehandlung suchen. Diese Einschränkung betrifft mehr oder weniger das gesamte Diabetesteam. Zum Diabetesteam gehören neben Hausarzt und Facharzt (Diabetologe) insbesondere die Diabetesberater, die in Kliniken und Praxen wesentlich den direkten Kontakt mit den Patienten in der Versorgung und Schulung pflegen. Gerade diese Berufsgruppe berichtet häufig von sie überfordernden psychologischen Fragen der Patienten. Im folgenden Text unterscheide ich nicht zwischen den mit den Diabetespatienten arbeitenden Berufsgruppen, und spreche daher häufig vom „Diabetesteam“, dem in Deutschland in der Regel kein Psychologe angehört. Um als anerkannte Diabeteseinrichtung zertifiziert zu werden, ist in Deutschland jedoch ein Liaisondienst eines Psychologen vorgesehen. Die Indikation zur Psychotherapie kann sowohl von der Seite des Diabetesteams als auch von der Seite des Patienten auf Hindernisse stoßen.

3.1.1 Die Seite des Diabetesteams: Von der Compliance zum Empowerment

Compliance. Schlechtes Selbstmanagement resultiert in erheblichen Einbußen an Lebensqualität durch Probleme in körperlichen, emotionalen und sozialen Bereichen. Aus Forschungsergebnissen zu den Konsequenzen von „Fehlverhalten“ (z.B. zu hohe Glukose haben, rauchen, Insulineinheiten falsch berechnen) lässt sich ein Verhaltenskodex ableiten, an dem sich die Patienten aus Sicht der Fachleute orientieren sollten, d. h. dessen Vorgaben sie gehorchen sollten. „Compliance“ erfasst das Ausmaß der Befolgung ärztlicher Ratschläge. Die realen Verhaltensweisen der Patienten weichen jedoch erheblich von den Vorgaben der Fachleute ab (Doherty et al., 2000). Die höchsten Compliance-Raten (70–80 %) werden von der Medikation berichtet, bei körperlicher Aktivität wird das erwünschte Ausmaß nur in weniger als 30 % der Fälle erreicht. Insbesondere bei präventiven, komplexen und lebenslang erforderlichen Verhaltensmustern besteht eine große Kluft zwischen Ideal und Wirklichkeit. Das Abrücken vom Compliance-Begriff erfolgte auch in der psychologischen Fachliteratur erst in den letzten Jahren. Reinecker (in Petermann, 1995) sieht noch keinen Widerspruch darin, das Ziel der Compliance-Verbesserung innerhalb des Selbstmanagementansatzes zu verfolgen. Letztlich führte die Ablehnung der Betroffenen (die oft im Beruf Fachleute für Diabetes sind), „folgsam“ zu sein, zu neuen Konzepten der Arzt-Patient- Beziehung. Adherence (Einhalten von Vorgaben). Der patientenzentrierte Ansatz innerhalb der Medizin versucht alle Lebensbereiche der betroffenen Person zu berücksichtigen. Oft spielen z. B. Probleme am Arbeitsplatz oder in sozialen Beziehungen eine weitaus wichtigere Rolle für die Person als das Bemühen um eine gute Stoffwechseleinstellung. Das Diabetesteam kann folglich nicht davon ausgehen, dass jede Person mit Diabetes ihre Lebensenergie vor allem auf ihre Gesunderhaltung verwendet und sich „compliant“ verhält. Der Begriff der „adherence“ beinhaltet die aktive und bewusste Entscheidung des Patienten, den Vorschlägen des Arztes zu folgen. Obwohl mit dieser begrifflichen Neufassung eine stärkere Selbstbestimmung in der Zusammenarbeit mit dem Diabetesteam betont wird, erschien die Rolle des Patienten selbst noch nicht hinreichend gewürdigt. Empowerment und Selbstmanagement. Anderson und Mitarbeiter (2000) begannen, das Konzept des „Empowerment (Stärkens)“ – es gibt keine geläufige deutsche Übersetzung – innerhalb der Diabetes-Community zu propagieren. Sie gehen von dem Grundgedanken aus, dass die Betroffenen selbst überwiegend die Behandlungsentscheidungen im Alltag treffen, und dass sie auch selbst die Konsequenzen zu tragen haben. Akzeptiert man diese Überlegung, bekommen der Patient und das Diabetesteam andere Aufgaben und Rollen zugeschrieben als in einer herkömmlichen Arzt- Patient-Beziehung:

– Der Patient übernimmt mehr Verantwortung und eigenständiges Handeln.

– Der Arzt/das Diabetesteam unterstützt die Betroffenen mit Sachverstand, Schulung und psychologischen Maßnahmen.

„Empowerment“ beschreibt dabei einen Prozess, in dem Patienten sich dahin entwickeln, ihre eigenen Angelegenheiten selbstständig zu regeln (Hirsch, 2002). Zu ähnlichen Schlussfolgerungen kommen die Vertreter des Selbstmanagementansatzes, der aus der modernen Verhaltenstherapie nach der kognitiven Wende stammt (Kanfer et al., 1990).

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