Lehrbuch Psychiatrische Pflege

Lehrbuch Psychiatrische Pflege

 

 

 

von: Dorothea Sauter, Chris Abderhalden, Ian Needham et al.

Hogrefe AG, 2011

ISBN: 9783456946405

Sprache: Deutsch

1207 Seiten, Download: 10467 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

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Lehrbuch Psychiatrische Pflege



1 Auffassung von Pflege (S. 43-44)
Christoph Abderhalden, Ian Needham, Stephan Wolff, Dorothea Sauter

1.1 Einleitung

Die Auffassungen von Pflege waren nie einheitlich, sondern haben sich im Laufe der Zeit verändert, es gab und gibt national, regional, betriebsspezifisch, fachgebietsbezogen und individuell unterschiedliche Varianten. Diese Pluralität im Verständnis von Pflege hat problematische Seiten, ist aber wohl nicht vermeidbar, bis zu einem gewissen Grad ist sie auch wünschenswert: Die Vielfalt der Auffassungen ist Ausdruck von Lebendigkeit, sie ist inspirierend und fördert immer wieder neue Entwicklungen, sie ist auch Ausdruck der Vielseitigkeit und Komplexität dessen, was mit dem Wort «Pflege» gemeint ist. Im folgenden Kapitel wird dargestellt, wodurch unser Verständnis von Pflege in der Psychiatrie geprägt ist. Ziel dieses Kapitels ist, unsere Grundauffassungen darzustellen und zu beschreiben, was uns wichtig ist. Wir tun dies in dem Wissen, dass unsere Auffassung eine unter vielen ist, ebenso diskutierbar und ebenso vertretbar wie andere Positionen, die wir ausdrücklich respektieren.

1.2 Menschenbild und Werte

Grundlegend für unser Verständnis von Pflege sind unser Menschenbild (s. Kasten 1-1) sowie universelle Werte, wie sie vom Internationalen Pflegerat (International Council of Nurses, ICN) formuliert wurden. In Übereinstimmung mit dem Ethik-Kodex für Pflegende des Internationalen Pflegerats ICN (International Council of Nurses) ist für uns Pflege «untrennbar von den Menschenrechten, einschließlich des Rechts auf Leben, auf Würde und auf respektvolle Behandlung. Pflege wird ohne Rücksicht auf das Alter, die Behinderung oder Krankheit, das Geschlecht, den Glauben, die Hautfarbe, die Kultur, die Nationalität, die politische Einstellung, die Rasse oder den sozialen Status ausgeübt» (ICN, 2000).

Kasten 1-1 Menschenbild
Wir gehen davon aus, dass wir alle, ob gesund oder krank, ob professionell Pflegende oder pflegebedürftige Menschen, in unserem Leben nach Individualität, Autonomie und Selbstbestimmung streben.
Wir alle wollen auch selbst Verantwortung für unser Leben und Sterben übernehmen.
Wir brauchen aber auch die solidarische Gemeinschaft mit anderen. Wir stehen in Beziehung zu unserer sozialen Umwelt und zur Natur. Unser Zusammenleben mit anderen und unsere Umwelt möchten wir partnerschaftlich, demokratisch mitgestalten. Wir möchten uns wohl fühlen und unser Leben als sinnvoll erfahren.
Die Verwirklichung dieser Werte ist für uns alle eine lebenslange Herausforderung. Sie betrifft uns immer umfassend: körperlich, psychisch, sozial, geistig und spirituell.
Leben bedeutet immer Hoffnung, umfasst aber auch Schwierigkeiten und Krisen. Widersprüchlichkeiten gehören dazu, machen es erst wirklich lebendig.
Wir akzeptieren deshalb, dass zur Hoffnung Verzweiflung, zur Vernunft Irrationalität, zur äußeren Realität auch Träume und Fantasien, zur Gesundheit Krankheit, zur Freude Trauer, zur Resignation auch Mut, zur Abhängigkeit auch das Ablehnen von Hilfe, zur Gemeinschaft das Alleinsein, zum Gesundwerden das Krankbleiben, zum Wachstum Verluste, zum Leben das Sterben und der Tod gehört.

Im Hinblick auf die Pflegenden als Personen und auf die Berufsausübung enthält der Ethik-Kodex des ICN folgende Postulate:
● Die grundlegende berufliche Verantwortung der Pflegenden gilt den pflegebedürftigen Menschen, und bei ihrer beruflichen Tätigkeit fördert die Pflegende ein Umfeld, in dem die Menschenrechte, die Wertvorstellungen, die Sitten und Gewohnheiten sowie der Glaube des Einzelnen, der Familie und der sozialen Gemeinschaft respektiert werden.
● Die Pflegende gewährleistet, dass der Pflegebedürftige ausreichende Informationen erhält, auf die er seine Zustimmung zu seiner pflegerischen Versorgung und Behandlung gründen kann.
● Die Pflegende behandelt jede persönliche Information vertraulich und geht verantwortungsvoll mit der Informationsweitergabe um.
● Die Pflegende teilt mit der Gesellschaft die Verantwortung, Maßnahmen zu Gunsten der gesundheitlichen und sozialen Bedürfnisse der Bevölkerung, besonders der von benachteiligten Gruppen, zu veranlassen und zu unterstützen.
● Die Pflegende ist auch mitverantwortlich für die Erhaltung und den Schutz der natürlichen Umwelt vor Ausbeutung, Verschmutzung, Abwertung und Zerstörung.
● Die Pflegende ist persönlich verantwortlich und rechenschaftspflichtig für die Ausübung der Pflege sowie für die Wahrung ihrer fachlichen Kompetenz durch kontinuierliche Fortbildung.
● Die Pflegende beurteilt die individuellen Fachkompetenzen, wenn sie Verantwortung übernimmt oder delegiert. (ICN, 2000)

1.3 Was ist Pflege?

Jede Disziplin bzw. Berufsgruppe hat eine vom jeweiligen Fachgebiet geprägte spezifische Perspektive, aus der sie die Gegenstände ihres Interesses betrachtet. Pflege befasst sich mit menschlichen Erfahrungen, Bedürfnissen und Reaktionen in Zusammenhang mit Lebensprozessen, Lebensereignissen und aktuellen oder potenziellen Gesundheitsproblemen.

Eine kurze und griffige Pflegedefinition ist diejenige des US-amerikanischen Pflege-Berufsverbandes ANA (American Nurses Association, 1980, 1995). Diese international wohl am häufigsten verwendete und am breitesten akzeptierte Pflegedefinition ist in Begriffsdefinition 1-1 wiedergegeben.

Unter «Reaktionen auf vorhandene Gesundheitsprobleme » werden Krankheitsfolgen, Krankheitserleben, Funktionsstörungen, Einbußen im Alltagsleben, Beeinträchtigungen, Coping, Umgang mit Therapien etc. verstanden. «Reaktionen auf potenzielle Gesundheitsprobleme» meint Reaktionen auf Gefährdungen und entsprechendes präventives Verhalten.

Die ANA-Definition bringt gut zum Ausdruck, wie der Fokus der Pflege vom Fokus der Medizin unterschieden werden kann. In der Medizin geht es darum, Krankheitssymptome festzustellen, Krankheiten zu diagnostizieren, die Ursachen oder die Symptomatik dieser Krankheiten mit therapeutischen Interventionen zu beeinflussen. In der Pflege geht es darum, Krankheitsfolgen und Reaktionen auf Krankheit, gesundheitliche Gefährdungen und Vulnerabilität festzustellen und durch pflegerische Interventionen zu beeinflussen. Siehe hierzu Beispiel 1-1 zur Abgrenzung der Tätigkeiten des Psychiaters und der Pflegenden.

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