Gerontopsychiatrische Pflege - Lehr- und Arbeitsbuch für die Altenpflege

Gerontopsychiatrische Pflege - Lehr- und Arbeitsbuch für die Altenpflege

 

 

 

von: Elisabeth Höwler

Schlütersche, 2010

ISBN: 9783842682597

Sprache: Deutsch

465 Seiten, Download: 1792 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

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Gerontopsychiatrische Pflege - Lehr- und Arbeitsbuch für die Altenpflege



11. Teil Umgang mit pflegenden Angehörigen von psychisch Alterskranken (S. 384-385)

1 Angehöriger sein bei Menschen mit demenziellen Krankheitsbildern


Derzeitig leiden ca. eine Million Personen an einer Demenzerkrankung. Die Gruppe der Personen mit einer senilen Demenz vom Alzheimer Typ (SDAT) ist mit geschätzten mindestens 50 % die weitaus größte Gruppe unter allen Demenzkranken (vgl. Förstl 2001). Bei den über 90-Jährigen ist fast jeder Dritte erkrankt (vgl. Beyreuther et al. 2002; Bickel 2006). Die ambulante Pflege der Klientel hat höchste Priorität, weil rund 80 % aller Personen mit Demenz zuhause leben und von ihren Angehörigen gepflegt werden; ein erheblicher Teil von ihnen lebt allein (vgl. Förstl et al. 1993; Bunzendahl et al. 2004). In 17 % der Haushalte gibt es keine Hauptpflegeperson (vgl. Wacker 1995:288). Die Zahl der Kranken nimmt infolge der Bevölkerungsalterung kontinuierlich zu und stellt die Gesellschaft vor enorme Herausforderungen (vgl. BMFSF 2001:86).

Je weniger pflegende Angehörige auf den nicht einfach zu bewältigenden Pflegeauftrag vorbereitet sind, und je weniger sie über die spezifischen Bedürfnisse der Erkrankten wissen, desto schneller stoßen sie an die Grenzen ihres Handelns. Als besondere Belastungen werden herausfordernde Verhaltensweisen empfunden, die die Demenzerkrankung verdecken, eine gründliche Beurteilung der Ursachen verhindern und zu einer Vermeidung des notwendigen personalen Kontakts bei der Klientel führen (vgl. Steeman et al. 2004:172). Pflegende Angehörige haben einen Pflegeauftrag übernommen, der sich ohne fachliche Kenntnisse unmöglich auf gute Weise erledigen lässt, und es ist keine Aufgabe, für die der Mensch ausgebildet wurde. Handelnde Akteure, zu 90 % sind das Frauen zwischen 40 und 75 Jahren (vgl. Boerger et al. 2001), können in der Regel nicht auf theoretische Grundlagen zurückgreifen. Somit stellen häusliche Entlastungsangebote in Form von niederschwelligen Angeboten sowie geschultem Wissen für Laien, die mit demenziell Erkrankten umgehen, eine bedeutsame Maßnahme dar, um die ambulante Pflege zu stärken.

Die geschilderte Situation in einem Brief einer pflegenden Angehörigen macht deren empfundene Gefühle und Belastungen bei der Versorgung einer demenzerkrankten alten Dame recht deutlich.

Brief einer Angehörigen, deren Mutter an der Alzheimererkrankung leidet, an eine Freundin:

Liebe Lieselotte,
es ist 17 Uhr; Mutter schläft gerade in ihrem Sessel, so komme ich dazu dir schnell einige Zeilen zu schreiben.
In den vergangenen Monaten hat sich Mutter, sie wurde im letzten Monat 90 Jahre alt, sehr verändert.
Ihr Hausarzt erklärte mir, dass sie an einer demenziellen Erkrankung leidet. Ich konnte aber nicht alles verstehen, was mir der Arzt über dieses Krankheitsbild erzählt hatte. Vor drei Wochen hat mich Mutter in große Aufregung versetzt. Während ich in Eile bei unserem Bäcker gleich um die Ecke Brötchen einkaufen wollte, ist Mutter ohne festes Schuhwerk und Mantel weggelaufen. Ich suchte voller Angst und Sorge die Umgebung nach ihr ab; informierte schließlich die Polizei und rief Krankenhäuser an. In den frühen Morgenstunden wurde sie als hilfl ose Person aufgefunden und von der Polizei nach Hause gebracht. Ich war vom langen Warten sehr erschöpft. Mutter war – wie durch ein Wunder – unverletzt. Gestern habe ich mich mit Mutter heftig gestritten! Sie beschuldigt mich, dass ich ihr die Perlenkette gestohlen hätte; sie weinte anschließend, plötzlich lachte sie aber wieder laut. Wenn ich ihr das Mittagessen reichen will, passiert es jetzt öfters, dass sie aggressiv wird und mich fortschickt; sie fragt mich dann, wer ich bin! Nach diesen Begebenheiten bin ich immer ziemlich traurig und frage mich, ob ich mit Mutter etwas falsch gemacht habe.

In den vergangenen Nächten habe ich wenig Schlaf bekommen. Mutter stand nachts in der Küche und klapperte laut mit dem Geschirr. Auf dem Herd kochte die Milch über. Sie sagte, dass die Kinder gleich aus der Schule kämen und Hunger hätten. Letzte Woche ist sie nachts aus dem Bett gefallen. Ich hatte große Mühe sie vom Boden wieder hochzubekommen.
Ständig muss ich auf Mutter aufpassen, weil sie unruhig in der Wohnung hin und her läuft und dabei elektrische Geräte anstellt. Wenn ich mit ihr spreche versteht sie mich nicht mehr. Es kommt vor, dass sie mehrmals laut nach ihrer verstorbenen Mutter ruft. Ich schäme mich wegen dieser Schreie und mache immer schnell die Fenster zu, damit es die Nachbarn nicht hören können. Ich erkenne in dieser Person oft meine Mutter nicht mehr! In letzter Zeit fühle ich mich sehr müde. Magenschmerzen plagen mich und mein Herz rast schnell. Zwischendurch quälen mich dunkle Gedanken. Der Hausarzt will mir eine Erholungskur verordnen. Doch wohin mit Mutter in dieser Zeit? Am Sonntag kam Onkel Otto zu Besuch. Er war entsetzt, dass der Stuhl, auf dem Mutter am Tisch gesessen hatte, nach ihrem Aufstehen völlig durchnässt war. Onkel Otto sagte hinter vorgehaltener Hand zu mir, dass Mutter wohl besser in einem Pfl egeheim aufgehoben sei. Mutter in ein Pflegeheim geben; diese Vorstellung ist für mich recht schwer!
Die Teilzeitstelle im Geschäft für Bürobedarf habe ich wieder aufgeben müssen. Wegen Mutters ständiger Betreuung rund um die Uhr, komme ich kaum aus dem Haus.
Liebe Lieselotte, ich hoffe du fi ndest bald einmal die Zeit, um mich zu besuchen. Ein wenig Abwechslung täte mir gut. Ich brauche mal wieder einen Menschen, mit dem ich über alles reden kann!
Herzliche Grüße von deiner Pauline

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