Es geht auch anders! Würde im Pflegealltag und Verstehende Pflege

Es geht auch anders! Würde im Pflegealltag und Verstehende Pflege

 

 

 

von: Udo Baer, Marion Scheffler

Semnos Verlag, 2010

ISBN: 9783934933316

Sprache: Deutsch

145 Seiten, Download: 2733 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

geeignet für: Apple iPad, Android Tablet PC's Online-Lesen PC, MAC, Laptop


 

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Es geht auch anders! Würde im Pflegealltag und Verstehende Pflege



5 Würde im Pflegealltag (S. 77-78)

(Marion Scheffler)

5.1 Von der Pathologisierung zur inneren Freiheit

Was soll gepflegt werden? Das ist die wesentliche Frage, auf die wir eine Antwort geben müssen. Was will ich eigentlich vom Menschen pflegen, was ist pflegebedürftig? Für mich ist die Subjektivität des Menschen immer ausschlaggebend und wir müssen die Person fragen, was sie gepflegt haben möchte. Wir fragen und wir bekommen Antworten: Das, was die Bewohner/innen gepflegt haben möchten (das ist nicht damit gleichzusetzen, worauf sie angewiesen sind, dass es gepflegt wird), sind nicht in erster Linie ihre Mängel, Erkrankungen und Schwierigkeiten, sondern vor allem ihr gesunder Anteil.

Um diese gesunden Anteile pflegen und entwickeln zu können, müssen wir zumeist erst einmal mit den Bewohner/innen durch ihre Unsicherheiten hindurchgehen. Die meisten Menschen, die zu uns kommen, sind völlig verunsichert. Sie bringen ihre Erkrankungen und Verhaltensauffälligkeiten mit. Viele Menschen, denen sie vorher begegnet sind, haben versucht, diese mit Medikamenten, mit Reden, mit Vorschriften, Trainings und anderem mehr wegzubekommen. Jede/r, so haben sie es erlebt, wollte, dass sie anders sind, keine/r hat sie so akzeptiert, wie sie sind. Aber darum geht es. Uns ist es wichtig, sie wirklich zu akzeptieren, unabhängig davon, was auf dem Diagnosezettel steht.

Diese Menschen müssen merken, dass wir sie annehmen, so wie sie sind und dass die Erkrankungen und Verhaltensauffälligkeiten zu ihnen gehören. Wenn sie das erst einmal merken und spüren, dass sie zu sich selber stehen können, dann erst entsteht eine Form von innerer Freiheit. Erst dann können sie neu überdenken, warum sie eigentlich so sind, wie sie sind, warum sie eigentlich sich so verhalten, wie sie es tun. Es ist ja nicht nur so, dass wir in ihre biografischen Zusammenhänge Einblick bekommen und ein neues Verständnis entwickeln, auch sie entwickeln eine neue Haltung sich selbst gegenüber.

Das braucht viel Zeit. Manchmal dauert es ein Jahr, manchmal dauert es zwei Jahre, bis jemand überhaupt wagt zu erzählen, was wirklich los ist. Es hat oft 50 Jahre und mehr gedauert, bis eine Person so wurde, wie sie ist. Da gab es viele Kränkungen, viele schlimme Erfahrungen und daraus entstand starkes Misstrauen. Diese Menschen haben alle gehört und gelernt, dass sie so nicht sein dürfen, wie sie sind, und wenn sie jetzt hier im Heim etwas anderes erfahren, dann können sie den Schalter nicht einfach umlegen.

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