Bildungssoziologie - Einführung in Perspektiven und Probleme

Bildungssoziologie - Einführung in Perspektiven und Probleme

 

 

 

von: Thomas Brüsemeister

VS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV), 2008

ISBN: 9783531909011

Sprache: Deutsch

221 Seiten, Download: 1624 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

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Bildungssoziologie - Einführung in Perspektiven und Probleme



2. Was erklärt die Bildungssoziologie? (Zum Makro-Mikro-Makro-Problem) (S. 11)

Wissenschaftliche Theorien sind Werkzeuge für die Beschreibung und Erklärung von Sachverhalten. Für die Erfassung von Sachverhalten reicht für gewöhnlich ein einziger wissenschaftlicher Ansatz nicht aus, da die Probleme zu komplex sind.

Die Erziehungswissenschaft und die Soziologie sind als Sozialwissenschaften dem gleichen wissenschaftlichen Erklärungsansatz verpflichtet, in der Regel dem Kritischen Rationalismus. Dieser zielt darauf, wissenschaftliche Theorieaussagen durch empirische Überprüfung einer Bewährung auszusetzen und/oder die Theorieaussagen durch empirische Befunde zu spezifizieren oder zu erweitern. Erziehungswissenschaft und Soziologie sowie die Bildungsforschung generell beobachten Bildungsprozesse auf verschiedenen Ebenen: auf der Makroebene der Gesellschaft, auf der Mesoebene der Organisationen, und auf der Mikroebene der Interaktionen, davon wird in diesem Buch noch hinreichend die Rede sein.

Aufmerksam gemacht werden soll, dass eines der größten Probleme der Bildungsforschung darin besteht, wie sich Befunde zu einzelnen Ebenen (Makro, Meso, Mikro) einander anbinden lassen.

Dieses Problem taucht in allen Forschungsansätzen der Bildungswissenschaften auf, zum Beispiel in der Institutionentheorie: Hier lassen sich Ansätze unterscheiden, die Institutionen als mehr oder weniger dem Handeln vorgegeben auffassen, als eine äußere Gewalt, andere Ansätze betonen eher, wie Institutionen im Handeln aufgebaut werden.

In Frage steht also, ob man die Analyse von Institutionen auf die Makroebene begrenzt, und/oder ob man die Mikroebene dazu nimmt oder sogar als primär ansieht, damit steht in Frage, wie sich Befunde zur Makro- und zur Mikroebene verbinden lassen, beispielsweise in der Sozialisationsforschung als Ich/Umwelt-Problem: Wie vermitteln sich innerpsychische Prozesse eines aktiv handelnden Subjekts, ohne dass man davon ausgehen muss, dass das Subjekt einfach von der Umwelt geprägt oder überwältigt wird, aber auch so, dass trotzdem eine Vergesellschaftung im Zuge der innerpsychischen Prozesse erkennbar wird?

(Tillmann 2004a, 30) Psychologisch orientierte Sozialisationstheorien geben hierauf Antworten, die die psychische, die Subjektseite innerhalb der Ich/Umwelt-Beziehung hervorheben, soziologisch orientierte Sozialisationstheorien heben für die Ich/Umwelt-Beziehung eher die Seite der gesellschaftlichen Umwelt hervor, auch hier besteht das Problem der Integration von Befunden zur Umwelt (Makro) und zu Subjektstrukturen (Mikro), beispielsweise in Ungleichheitstheorien: Wenn man wie Bourdieu kulturelles Kapital in der Gesellschaft ungleich verteilt sieht und Familienzusammenhänge die Kapitalverteilung reproduzieren: wie stellen sich die objektiven, auf der Makroebene der Gesellschaft vorfindbaren Ungleichheiten im einzelnen Handeln der Kinder wieder her?

Wie verläuft die Vererbung von objektiven Strukturen in subjektive? Erneut: wie werden die Makro- und die Mikroebene verbunden? Beispielsweise in Ansätzen der Steuerung und der Educational Governance: wie lässt sich ermöglichen, dass eine Bildungsreform, die auf der Makroebene (von der Bildungspolitik) entworfen wird, auf der Mesoebene, d.h. in den einzelnen Bildungseinrichtungen sowie auf der Mikroebene im Handeln der einzelnen Akteure angenommen wird? Es handelt sich dabei gleichsam um das Problem der „absteigenden Verankerung auf der Mikroebene“: d.h. verkürzt gefragt: Wie wandert eine auf der Makroebene verortete Maßnahme zur Mikroebene hinunter?

Dieses Problem stellt sich ähnlich bei der Frage, wie sich kulturelles Kapitel vererbt. Das umgekehrte Problem ist die „aufsteigende Generalisierung“: Wenn, wie es z.B. die heutigen Sozialisationstheorien zeigen (vgl. Tilmmann 2004a), das einzelne Handeln so individuell ist, wie können sich dann gesellschaftliche Strukturen reproduzieren? Wie können sich Logiken des einzelnen Handelns generalisieren? Derartige Probleme der Verbindung zwischen der Makro- und der Mikroebene (sowie der Mesoebene) durchziehen, wie gesagt, die gesamte Bildungsforschung – und die gefundenen Antworten sind bis heute nicht hinreichend befriedigend. Die Bildungssoziologie versucht ihren Anteil zur Klärung dieser Probleme zu leisten, und sie hat natürlich nicht den alleinigen Schlüssel.

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