100 Fehler im Umgang mit Menschen mit Demenz - und was Sie dagegen tun können
von: Jutta König, Claudia Zemlin
Brigitte Kunz Verlag, 2008
ISBN: 9783842681484
Sprache: Deutsch
94 Seiten, Download: 1002 KB
Format: PDF, auch als Online-Lesen
5 Biografisches Arbeiten (S. 63-64)
71. Fehler: Annahme, Biografiearbeit ohne Hilfe der Angehörigen sei unmöglich
Ein neuer Pflegebedürftiger wird übernommen. Er hat entweder keine näheren Angehörigen oder diese sind wenig präsent. Entweder weil sie nicht wollen, zu weit weg wohnen oder weil sie stark eingebunden sind – berufl ich oder privat. Im Pfl egeheim kann sicher jede Pflegekraft davon berichten. Der neue Bewohner kommt womöglich aus dem Krankenhaus und niemand ist da, der sich kümmert. Viele Pflegende gehen oft davon aus, dass der Mensch mit Demenz sich für eine effektive biografi sche Arbeit noch verbal verständlich machen muss oder zumindest ein Angehöriger Auskunft geben kann. Umgekehrt würde das Folgendes bedeuten: Wenn dies nicht gegeben ist, kann man keine biografi schen Daten erheben und zu Pfl ege- oder besser Lebensplanungen (vgl. Reuter 2006) heranziehen. Für einen Pfl egebedürftigen, der sich nicht mehr verbal äußern kann und allein ist, würde diese Planung sehr wenig spezifisch ausfallen.
Fakt: Zum Glück haben alle Pflegebedürftigen zwei feste Daten, die eigentlich immer verfügbar sind: Geburtsdatum und Geburtsort. Auf der Basis dieser kleinen Informationsmenge lässt sich eine Reihe von Ideen entwickeln, die im Laufe des Begleitungsprozesses auf ihre Schlüsselreizqualität geprüft werden können: Die Grundlage für die Entwicklung von Handlungsvorschlägen ist die kollektive Prägungsgeschichte (vgl. Böhm 1999a). Was galt in einer Gegend zu einer bestimmten Zeit, zumeist der Prägungszeit, als normal? Das kann u. a. das Essen, die Kleidung, die Körperpfl ege, die Religion oder die Musik betreffen. Es lässt sich ausprobieren, ob ein gebürtiger Oberbayer, der jetzt in einem Heim in Hamburg lebt, Musik aus der alten Heimat mag. Leuchten die Augen, kann es nur der richtige Impuls gewesen sein.
Fazit: Erforschen Sie nicht nur den Lebenslauf des demenziell Erkrankten. Lernen Sie ihn täglich neu kennen und achten Sie auf seine Gewohnheiten, Bedürfnisse und Wünsche. Suchen Sie in kritischen Situationen oder bei herausforderndem Verhalten nach Schlüsselreizen.
72. Fehler: Annahme, Menschen mit Demenz reimten sich ihre Biografie zusammen
In Fallbesprechungen stellten uns Pfl egende oft die Frage, wie sie auf offensichtliche »Lügen« richtig reagieren. Z. B., wenn eine Pfl egebedürftige immer von ihrem großzügigen Ehemann erzählt oder was für eine liebe, gutherzige Mutter sie gewesen sei und die Angehörigen von Familientragödien berichten, die das genaue Gegenteil beschreiben. Sollten Sie da nicht mal nachfragen: »Aber Sie sind doch geschieden?« oder: »Aber der Kontakt zu Ihrem Sohn ist doch schon seit Jahren abgebrochen?«
Fakt: Nein, biografi sches Arbeiten bedeutet nicht Detektivarbeit im Sinne der Wahrheitsfi ndung, die dann mit dem Pflegebedürftigen diskutiert werden muss. Hier muss wertfrei mit Informationen umgegangen werden. Lebenslügen sind Bewältigungsstrategien, die man verstehen lernen muss. Konfrontation und Diskussion helfen, wie be reits beschrieben, Menschen mit Demenz nicht. Fazit: Lassen Sie die »Schatzkästchen«, wie Böhm (2002) sie beschreibt, geschlossen. Machen Sie die »kleinen Geschichten«, die Ihnen die Pflegebedürftigen anbieten, zum Ausgangspunkt für gemeinsame Gespräche, um sie emotional gut begleiten zu können. Die Richtigkeit der Fakten spielt dabei weniger eine Rolle als das Sich-verstanden-Fühlen.
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