Suizidalität und Suizidprävention bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen

Suizidalität und Suizidprävention bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen

 

 

 

von: Johanna Gerngroß

Schattauer, 2020

ISBN: 9783608116250

Sprache: Deutsch

281 Seiten, Download: 3939 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

geeignet für: geeignet für alle DRM-fähigen eReader geeignet für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones Online-Lesen


 

eBook anfordern

Mehr zum Inhalt

Suizidalität und Suizidprävention bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen



Einleitung


Eine junge Frau, Anfang 20, wird mit der Rettung in die Notaufnahme einer Klinik eingeliefert. Sie hat einen Suizidversuch mit Tabletten unternommen, die Schachteln der Tabletten wurden bei ihr gefunden. In der Notaufnahme versucht der diensthabende Arzt, die Patientin dazu zu bringen, ein Glas mit einer Flüssigkeit zu trinken, um Erbrechen hervorzurufen. Die Patientin weigert sich jedoch, dies zu tun, da sie ja sterben wolle. Ratlos wendet sich der Arzt an das Pflegepersonal und bittet dieses, mit der Patientin zu sprechen. Diese trauen sich jedoch nicht zu ihr, aus Angst, etwas Falsches zu sagen. Sie informieren die Psychiaterin und warten auf ihr Kommen. Zurück bleibt ein Gefühl der Hilf- und Ratlosigkeit, der Unsicherheit und des Versagens seitens der Pflegekräfte. Wie es der Patientin dabei erging, kann man nur erahnen.

Im Gesundheits- und Sozialbereich tätige Personen sehen sich wiederkehrend mit Menschen in krisenhaften Situationen konfrontiert. Der Umgang mit suizidalen Personen stellt dabei auch die erfahrenste Fachkraft vor große Herausforderungen. Umso wichtiger ist es, entsprechend auf solche Ausnahmesituationen vorbereitet zu sein und das passende methodische Handwerkszeug zu besitzen, um suizidale Krisen zu erkennen und abzuwenden bzw. ihnen im Sinne der Primärprävention möglichst vorzubeugen.

Wie das oben skizzierte Beispiel zeigt, besteht im Umgang mit suizidalen Personen häufig große Unsicherheit. Auch Fachkräfte sind durch ihre Ausbildung oft auf solche Situationen nicht ausreichend vorbereitet. Die Sorge, etwas falsch zu machen, und Mythen über das Thema Suizidalität verhindern ein professionelles Handeln und können dazu führen, dass sich Fachkräfte als zu wenig kompetent und in weiterer Folge schuldig fühlen. Die suizidale Person hingegen erlebt statt persönlicher Zuwendung, einem echten Interesse an ihrem Leben und ihrer schwierigen Situation, dass Verantwortlichkeiten hin und her geschoben werden und keiner etwas mit ihr zu tun haben will.

Das vorliegende Buch richtet sich an Menschen, die in psychosozialen, beratenden, pädagogischen, medizinischen, pflegerischen oder therapeutischen Berufen tätig sind und daher immer wieder mit den Themen Suizidalität und Suizid konfrontiert werden. Es soll für sie Hintergrundwissen und Handwerkszeug im Umgang mit Menschen in suizidalen Krisen bieten und so der Mythenbildung und Unsicherheiten entgegenwirken.

Wir wollen aber auch Angehörige von Menschen, die sich das Leben genommen haben, ansprechen, für welche die dargestellten Hintergrundinformationen vielleicht hilfreiche Ansätze für das Verstehen bieten können.

Kapitel 1 »Einführung in die Suizidprävention« beschäftigt sich mit der Verortung der Suizidologie. Es gibt einen Überblick über die historische Entwicklung der Suizidprävention und der Krisenintervention sowie über deren Möglichkeiten und soll Anregungen zur allgemeinen Haltung von Helferinnen und Helfern bieten.

In Kapitel 2 sind »Grundlagen zu Suizidalität und Suizid« zusammengefasst. Mythen über Suizid werden Fakten aus der Suizidforschung gegenübergestellt, Modelle zur Entwicklung von Suizidalität vorgestellt, Motive für Suizidalität diskutiert sowie rechtliche Grundinformationen gegeben. Zudem wird das Thema »Suizidprävention und Medien« behandelt, wobei neuere Entwicklungen wie die Rolle von sozialen Medien berücksichtigt werden.

Kapitel 3 widmet sich der »Hilfe bei akuter Suizidalität« und behandelt Themen wie Einschätzung und Abschätzung von Suizidalität, Beziehungsgestaltung und Gesprächsführung, die Bedeutung des Übertragungs- und Gegenübertragungsgeschehens bei Suizidalität sowie Interventionen in Krisensituationen und Notfallpläne.

Ausgehend von der Frage nach möglichen Ursachen für Suizidalität werden in Kapitel 4 »Die klinische Sicht – Ursachen und Behandlung von Suizidalität« die Rolle psychischer Erkrankungen beleuchtet und Möglichkeiten für eine längerfristige Behandlung und Begleitung suizidaler Personen beschrieben. Der Umgang mit Hoffnungslosigkeit sowie Fehler und riskante Interventionen, aber auch pharmakologische Therapie und Fragen zur stationären vs. ambulanten Behandlung suizidaler Patientinnen sind dabei einige wichtige Bausteine.

Ein weiterer Schwerpunkt dieses Buches liegt auf dem Tabuthema »Suizidalität und Suizidprävention bei Kindern und Jugendlichen«, das in Kapitel 5 den der Bedeutung des Themas geschuldeten Raum findet. Darin sollen Fachkräfte, aber auch Eltern über Hintergründe sowie Zusammenhänge informiert werden und Ansätze zum Umgang mit diesem sensiblen Thema finden.

Da die meisten Menschen einen Großteil ihrer Zeit in der Arbeit verbringen, widmet sich Kapitel 6 dem »Suizid am Arbeitsplatz«. Dabei werden einerseits das Thema »Tod einer Kollegin« und die damit verbundenen Belastungen, aber auch Möglichkeiten des Umgangs besprochen; andererseits widmet sich ein Teil des Kapitels der Frage, wie in Institutionen mit dem Suizid einer Patientin oder Klientin umgegangen werden kann. Im Zuge dessen wird ein Unterstützungssystem nach kritischen Ereignissen vorgestellt.

Besonders alte Menschen haben ein hohes Suizidrisiko, daher nimmt die Suizidalität alter sowie schwer kranker Menschen einen wichtigen Platz im vorliegenden Buch ein und wird in Kapitel 7 »Besondere Gruppen« thematisiert. Hier werden auch Sterbebegleitung und ‐hilfe sowie Palliative Care und deren Bedeutung für die Suizidprävention besprochen.

Da Suizide und Suizidalität auch vor Einsatzkräften nicht Halt machen, greift Kapitel 8 »Suizidalität und Suizidprävention in Einsatzorganisationen am Beispiel Feuerwehr« dieses Thema auf. Es werden Anregungen gegeben, wie Einsatzkräfte mit Suiziden in den eigenen Reihen umgehen können und wie Suizidprävention in Einsatzorganisationen aussehen kann.

In Kapitel 9 »Suizidalität und Narzissmus« wird das komplexe Phänomen Suizidalität und Persönlichkeitsstörungen vor einem tiefenpsychologischen Hintergrund behandelt. Dabei sollen Ausführungen zum griechischen Mythos von Narziss zum Verständnis für Narzisstische Persönlichkeitsstörungen und Suizid beitragen.

Kapitel 10 »Nach dem Suizid: Postvention« ist der Begleitung von Suizidhinterbliebenen gewidmet. Suizidhinterbliebene sind einer großen emotionalen Belastung ausgesetzt. Zur Trauer um die verstorbene Person können Gefühle von Schuld und Scham, Wut und Zorn hinzukommen und möglicherweise sogar zu Suizidalität führen. Eine professionelle psychologische Begleitung von Suizidhinterbliebenen kann somit auch eine wichtige suizidpräventive Maßnahme darstellen.

Zusammenfassend kann man sagen, dass wir uns dem Thema Suizidalität und Suizid in diesem Buch von vielen verschiedenen Seiten her nähern und versuchen, das Unfassbare etwas fassbarer zu machen. Wir wollen Erklärungsversuche liefern und Ansätze für gezielte Hilfestellungen geben.

»Wenn es eine Hölle gibt, dann befinde ich mich gerade darin!«, so beschreibt eine Frau ihre Situation wenige Tage nach dem Suizid ihres Ehemannes. »Warum?« »Gab es Anzeichen?« »Haben wir etwas übersehen?« – nach einem erfolgten Suizid stellen sich den Hinterbliebenen drängende und schmerzhafte Fragen, auf die sich häufig keine Antwort mehr finden lässt. Zur Trauer über den Verlust kommen quälende Gefühle von Schuld und Verantwortung hinzu, die sie keine Ruhe finden lassen. Für sie beginnt die Hölle nach dem Suizid, während der betroffene Suizident wohl vor der Tat durch diese hindurchgeht. Es ist kaum vorstellbar, wie verzweifelt, hoffnungs- und hilflos jemand sein muss, um sich das Leben zu nehmen.

Dramen wie diese sind leider keine Seltenheit. In Deutschland und Österreich nehmen sich fast dreimal so viele Menschen das Leben wie es Tote durch Verkehrsunfälle gibt. Weltweit ist Suizid eine der häufigsten Todesursachen. Bei unter 25-jährigen Männern ist Suizid die häufigste Todesursache weltweit. Nicht eingerechnet Suizidversuche und parasuizidales Verhalten, zudem ist wohl mit einer hohen Dunkelziffer zu rechnen. Betrachtet man diese Zahlen, wird die Bedeutung von Maßnahmen der Suizidprävention, der Enttabuisierung, des darüber Sprechens, der Verbreitung von Wissen über...

Kategorien

Empfehlungen

Service

Info/Kontakt