Gerontopsychiatrische Pflege - Lehr- und Arbeitsbuch für die geriatrische Pflege. Auch für Ergo- und Physiotherapeuten, Logopäden und Podologen

Gerontopsychiatrische Pflege - Lehr- und Arbeitsbuch für die geriatrische Pflege. Auch für Ergo- und Physiotherapeuten, Logopäden und Podologen

 

 

 

von: Dr. Elisabeth Höwler

Schlütersche, 2020

ISBN: 9783842690646

Sprache: Deutsch

424 Seiten, Download: 3336 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Gerontopsychiatrische Pflege - Lehr- und Arbeitsbuch für die geriatrische Pflege. Auch für Ergo- und Physiotherapeuten, Logopäden und Podologen



2 AM ANFANG STEHT DIE SELBSTWAHRNEHMUNG

Handlungsaufgabe

»Der wahre Beruf des Menschen ist, zu sich selbst zu kommen«, schrieb Hermann Hesse.

Viele Menschen, die einen helfenden Beruf ergreifen, sind auch auf der Suche nach sich selbst. Inwieweit trifft der Satz von Hermann Hesse auf Sie als angehende Altenpflegerin zu?

Eine ausreichende Selbstwahrnehmung und Suchhaltung sind notwendige Grundhaltungen beim Umgang mit psychisch Alterskranken. Der tägliche routinierte Umgang mit psychisch Alterskranken kann blind machen. Unbegründete Rituale verfestigen sich dann leicht. Hier setzt die Selbstwahrnehmung an. Durch Supervision und Stressbewältigungstechniken (vgl. Seite 26 ff.) können Selbsterfahrung und Suchhaltung herausgebildet und weiterentwickelt werden. Sie sind Ausdruck einer erlernbaren, inneren Einstellung zum psychisch Alterskranken. Wenn ich psychisch Alterskranke wirklich verstehen will, muss ich mich selbst in meinen eigenen psychischen schwachen Anteilen verstehen; umso besser verstehe ich andere Menschen in ihren gesunden, wie auch kranken Anteilen. Altenpflegerinnen sollten lernen, die Selbstanteile an einer Pflegehandlung besser wahrzunehmen.

Von diesem Grundgedanken müssen Altenpflegerinnen ausgehen, wenn sie sich in die geistige und emotionale Landschaft von psychisch Alterskranken hinein versetzen wollen. Erst dann sind sie bereit, sich in die »ver – rückte« Welt des psychisch Alterskranken hineinzuversetzen und können versuchen, ihn in Äußerungen und Verhalten zu verstehen.

Altenpflegerinnen müssen demnach fähig werden, sich selbst zu fragen:

Welche Gefühle löst der gerontopsychiatrisch veränderte Mensch bei mir aus?

Was löse ich mit der Pflegehandlung beim Kranken aus?

Was will der Kranke mit seinem Verhalten/Äußerungen, was bedeuten diese?

Was für Wünsche und Bedürfnisse stehen hinter seinem Verhalten; in welchem Zusammenhang stehen sie mit seiner Lebenslage und seiner Biografie?

Ist meine Intervention, d. h. mein Bemühen um eine Verhaltensänderung, in bestimmten Situationen immer angemessen?

2.1 Verwirrt, verstört, verunsichert – Das kennen Sie auch!


Stellen Sie sich folgende fünf Situationen vor:

1.Sie gehen nach einem stressigen Arbeits-/Schultag in den Keller und wissen dort plötzlich nicht mehr, was sie holen wollten.

2.Sie werden im berufspraktischen Einsatz für eine neue Wohnstation eingeteilt und Ihrer Praxisanleiterin vorgestellt. Am nächsten Arbeitstag wollten sie diese etwas fragen, aber haben deren Namen vergessen.

3.Sie fahren in eine fremde Stadt, weil Sie dort in einem Seniorenpflegeheim einen Vorstellungstermin haben. Sie haben sich total verfahren und geraten in Zeitnot.

4.In der Berufsfachschule für Altenpflege halten Sie ein Referat im Psychologieunterricht. Sie bekommen dafür eine Note. Bei Rückfragen des Dozenten fällt Ihnen nicht mehr das entsprechende Fachwort für die Lerntheorie ein. Sie suchen angestrengt nach einer passenden Umschreibung des Begriffes.

5.Nach Zubereitung eines Gemüsesalates nehmen Sie die elektrische Küchenmaschine zwecks Reinigung auseinander. Sie versuchen mit der Gebrauchsanleitung, die Einzelteile wieder zusammen zubauen. Es funktioniert nicht.

Handlungsaufgaben

1.Wie fühlen Sie sich in den jeweiligen Situationen?

2.Finden Sie kognitive Merkmale, die die Situationen treffend beschreiben!

3.Welche Rückschlüsse ziehen Sie aus den fünf Situationen für sich selber?

4.Stellen Sie aus Ihren Überlegungen den Transfer zur Pflege und Umgang mit einem psychisch kranken Menschen in Ihrer späteren Pflegepraxis her.

Der Begriff »Kognition« kann übersetzt werden mit (lat.) co- (zusammen) gnoscere (erkennen, erfahren, wissen). Unter Kognition werden geistige Fähigkeiten, wie z. B. Verarbeitungsgeschwindigkeit, Aufmerksamkeit, Arbeitsgedächtnis, verbales und visuelles Lernen, Denken, Vorstellen, Erinnern, Rationalisieren und Problemlösen verstanden.

Auch das Gehirn ansonsten geistig gesunder Menschen erlebt in normalen Alltagssituationen Chaos, Verwirrung und Unaufmerksamkeit. Jeder kennt Merkfähigkeitsstörungen in Prüfungssituationen. Es gibt Menschen, die ein schlechtes Namensgedächtnis haben. Wenn alles sehr schnell gehen muss, kommt es auch schon einmal zu Wortfindungsstörungen. Wir können in Stresssituationen Orientierungsstörungen haben. Beim Verlust eines nahestehenden Menschen verspüren wir Hilflosigkeit und Angst; wir sind in uns selbst gefangen und sehr niedergeschlagen; auch beim Verliebtsein können wir nicht mehr »klar« denken.

Selbst ein gesundes Gehirn spielt ab und an »ver-rückt«. Einem gesunden Menschenverstand können plötzlich die Kognitionen entgleisen. Trotz Nachdenkens kommt man nicht auf den Namen einer bestimmten Person oder verfährt sich völlig in einer fremden Stadt. Ärger, Unsicherheit und Angst sind oft die Reaktionen. Wenn man sich solche Situationen vor Augen führt, gelingt es eher, sich in die innere Welt der psychisch Alterskranken einzufühlen. Dann kann man sich auch ausmalen, wie schlimm es wäre, wenn solche Stresssituationen andauerten und andere Menschen ständig versuchten, mit für den Betroffenen unverständlichen Worten und Gesten auf diesen einzuwirken.

Im Vordergrund gerontopsychiatrischer Pflege steht das Bewusstsein einer Selbst- und Fremdwahrnehmung, das Verständnis der Handlungslogiken der psychisch Alterskranken und die Entwicklung von Empathievermögen. Um psychisch Alterskranke in ihrer Lebenswirklichkeit zu verstehen, ist es zunächst einmal wichtig, an der eigenen Haltung gegenüber psychisch kranken alten Menschen zu arbeiten.

Handlungsaufgaben

»Ich möchte, dass man mit mir vom Leben spricht und nicht von der Krankheit. Ich möchte, dass man mich mit Respekt und Liebe behandelt, als ein Subjekt und nicht als ein Objekt. Ich möchte, dass man mich als lebendig ansieht und nicht als tot.« (Zimmermann 1989)

1.Stellen Sie den Transfer von der Aussage des Zitates zu Ihrer Rolle als Altenpflegerin in der gerontopsychiatrischen Pflegepraxis her.

2.Überlegen Sie sich, welche Haltung Sie als Altenpflegerin in der gerontopsychiatrischen Pflege mitbringen sollten?

Altenpflegeschülerin Sabine erlebte folgende Pflegesituation im berufspraktischen Einsatz: »In diesem Einsatz hatte ich eine sehr unruhige an Demenz erkrankte Bewohnerin zu waschen und anzuziehen. Sie stand keine Sekunde still, dauernd rannte sie hin und her und wenn ich mich nur zur Seite drehte, um den Waschlappen auszuwaschen, war sie schon wieder weg. Mit viel Geduld und Nervenaufwand hatte ich sie endlich fertig gewaschen und wollte mit dem Anziehen beginnen. Doch von wegen – kaum hatte ich sie zum Sitzen gebracht, stand sie sofort wieder auf und ging immer hin und her, während ich die Strumpfhose nachzog. Ich wurde richtig verärgert, weil ich noch so viele andere Sachen zu tun hatte und sie einfach nicht sitzenblieb. Doch dann dachte ich mir, sie kann ja überhaupt nichts dafür und ich zwang mich, ihr gut zuzureden, obwohl die alte Dame dies nicht zur Notiz nahm. Ihr einziges Ziel war nur zu laufen, egal ob mit oder ohne Kleider. Nachdem ich sie dann doch angezogen und in den Tagesraum gebracht hatte, war ich fix und fertig. Während ich das Waschzeug aufräumte, wurde mir immer bewusster, wie armselig diese Frau auf mich eigentlich angewiesen war. Ich glaube, sie bemerkte auch, wie verärgert ich wurde, doch sie weiß überhaupt nicht warum, weil das Laufen ihr unbewusst war. Außerdem konnte sie nicht fragen, weil sie zusätzlich die Sprache verloren hatte, wie mir erst viel später im Team erzählt wurde.« (Höwler 2000)

Handlungsaufgaben

1.Versetzen Sie sich in die Situation von Altenpflegeschülerin Sabine und überlegen Sie, wie Sie an ihrer Stelle sich verhalten bzw. reagiert hätten.

2.Welche Erfahrungen haben Sie bisher mit gerontopsychiatrisch veränderten Menschen in der Praxis gemacht?

3.Welches Wissen benötigt Ihrer Meinung nach eine Altenpflegerin für die gerontopsychiatrische Pflege?

2.2 Der wertschätzende Umgang mit psychisch Alterskranken


Beim Umgang mit psychisch Alterskranken ist der richtige Ton und die Einstellung zu ihnen besonders bedeutsam. Die Betroffenen scheinen manchmal wie kleine Kinder, müssen aber wie Erwachsene behandelt werden. Das ist die Schwierigkeit. Sie verleitet Altenpflegerinnen dazu anzunehmen, dass psychisch Alterskranke wie Kinder sind, denn sie benehmen sich oft so:

Sie kleckern mit dem Essen.

Sie schmieren mit Exkrementen.

Sie lehnen oft die Körperpflege ab.

Sie halten sich nicht immer an die Etikette.

Für Pflegende ist es oft...

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