Das Gebot zu vergessen und die Unabweisbarkeit des Erinnerns - - Vom öffentlichen Umgang mit schlimmer Vergangenheit

Das Gebot zu vergessen und die Unabweisbarkeit des Erinnerns - - Vom öffentlichen Umgang mit schlimmer Vergangenheit

 

 

 

von: Christian Meier

Siedler, 2010

ISBN: 9783641038960

Sprache: Deutsch

160 Seiten, Download: 188 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Das Gebot zu vergessen und die Unabweisbarkeit des Erinnerns - - Vom öffentlichen Umgang mit schlimmer Vergangenheit



"5. Deutschland seit 1945 (S. 34-35)

Überblickt man die Geschichte des öffentlichen Umgangs mit schlimmer Vergangenheit, so ergibt sich - wenn ich nicht wesentliche Komplexe übersehen habe -, daß sich Deutschland seit 1945 in einer welthistorisch völlig neuen Situation befindet. Es war etwas geschehen, was in einem völlig neuen Sinn ungeheuerlich war; über alles hinaus, was die Weltgeschichte bis dahin an Kriegs-Untaten und Greueln gekannt hatte. Das Land war nicht nur militärisch und politisch, sondern auch moralisch zusammengebrochen.

Es konnte nicht beanspruchen, ja war mangels Regierung nicht einmal dazu in der Lage, einen Friedensvertrag auszuhandeln, der es zwar Gebiete, Kontributionen und dergleichen hätte kosten können, es aber mit sich allein gelassen hätte, so daß es das im Krieg von ihm Angerichtete in einer Art Besiegtenstolz hätte beschweigen können.

Die Verfolgung all dessen, was damals vornehmlich als »Kriegsverbrechen« firmierte, war unumgänglich. Und nahezu die gesamte deutsche Bevölkerung stand zunächst einmal im Verdacht, alle Gewalttaten, all das Unrecht des Regimes getragen, gefördert, ja mit ausgeübt zu haben. Keine Rede davon, daß man Hauptschuldige separieren und das Gros hätte in Ruhe lassen können. Später, sehr zögerlich seit Ende der fünfziger Jahre und sehr allmählich zunehmend begann sich die Erinnerung an die Ermordung der europäischen Juden tiefer in das öffentliche Bewußtsein einzuprägen.

Die Täter, soweit das noch möglich war, wurden, zunächst ebenfalls zögerlich, vor Gericht gestellt, und die Gesellschaft der Bundesrepublik rang sich mit der Zeit dazu durch, nicht nur anzuerkennen, was geschehen, sondern auch ernsthaft zu fragen, was alles daraus an Konsequenzen zu ziehen war. Nur in einer nicht genau abzugrenzenden Zwischenzeit, konzentriert in den fünfziger Jahren, jedoch schon vorher ansetzend und danach erst allmählich auslaufend geschah das nach großen Katastrophen Normale: Man verdrängte und strebte nach Amnestie, nach Vergessen. Und hatte damit für eine lange Weile auch guten Erfolg.

Die Alliierten waren bereit, das Land, wenn auch verkleinert, bestehen zu lassen und ihm - im Westen - eine demokratische Zukunft zu ermöglichen. Zunächst aber hatten sie es nicht nur besetzt, sondern regierten es auch. Alle Forderungen nach Bestrafung Schuldiger konnten sie selber erfüllen, indem sie vor ihren Militärgerichten Anklage erhoben. Sie waren nicht darauf angewiesen, daß eine deutsche Regierung jemand auslieferte (was freilich nicht ausschloß, daß sich viele durch Flucht entzogen)."

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