Biodiversität - Unsere wertvollste Ressource

Biodiversität - Unsere wertvollste Ressource

 

 

 

von: Carsten Neßhöver

Verlag Herder GmbH, 2013

ISBN: 9783451345739

Sprache: Deutsch

208 Seiten, Download: 3696 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Biodiversität - Unsere wertvollste Ressource



„Wir haben noch viel zu lernen über die Natur
von Werten und den Wert der Natur.“

PAVAN SUKHDEV, INDISCHER ÖKONOM

Einleitung – Sieben Milliarden von einem, viele Millionen Verschiedene und ein flugunfähiger Vogel

Der Dodo, Titelheld dieses Buches, führte lange Zeit ein ruhiges, wenn auch nicht einfaches Leben. Der Zufall hatte es gut mit seinen Vorfahren gemeint und sie vor einigen Millionen Jahren auf die einsame Insel Mauritius gelangen lassen. Ein Ort, fern von allen gefährlichen Raubtieren und mit einer guten Nahrungsgrundlage, wenn auch die Umweltbedingungen sicherlich nicht immer optimal waren. Der Dodo passte sich dem aber gut an, und wie viele andere Vögel auf abgelegenen Inseln gab er im Laufe seiner evolutionären Entwicklung das Fliegen auf und lebte lange Zeit zusammen mit Riesenschildkröten und einigen anderen nur auf Mauritius vorkommenden Arten. Dann kam der Mensch mit seinen Schiffen, und binnen eines Jahrhunderts, etwa gegen 1690, war der Dodo das, was ihn heute zur Ikone des Naturschutzes macht: Er war ausgestorben.

Der Mensch, der erste Protagonist dieses Buches, wird von der Natur immer wieder vor Herausforderungen gestellt. Stürme, Erdbeben, Tsunamis und andere Katastrophen nehmen in unserer Wahrnehmung den größten Raum ein, gefolgt von Viren, Bakterien und andere Parasiten. Die Natur verursacht häufig Elend, Leid und Tod. Und der Mensch wirkt hilflos angesichts der übermächtigen und undurchschaubaren Natur. So ging es auch den ersten Seeleuten, die auf Mauritius landeten. Eine Seereise zu jener Zeit war entbehrungsreich, frische Nahrung war Mangelware, und so war es kaum verwunderlich, dass man sich beim ersten Landgang nach Monaten auf die erstbesten Nahrungsressourcen stürzte, die man finden konnte. Vögel und Schildkröten waren bekannt dafür, nicht giftig zu sein, und so war es ihr Schicksal, in ihrer Heimat Mauritius, auf halbem Weg zwischen Afrika und Indien gelegen, zu dem zu werden, wofür wir Menschen die Biodiversität, die zweite Protagonistin dieses Buches, am meisten nutzen: als wertvolle Ressource fürs Überleben und Wohlergehen.

Betrachtet man allein die letzten 250 Jahre, hat der Mensch mit dieser Einstellung viel in der Natur verändert: Tierarten wurden ausgerottet, Wälder in riesigem Ausmaß abgeholzt, Flüsse verschmutzt, die Atmosphäre wurde durch seit Jahrmillionen von der Natur im Gestein eingelagerten und durch den Menschen wieder freigesetzten Kohlenstoff verändert und das Klima damit nachhaltig beeinflusst. Seit einigen Jahrzehnten bewegt der Mensch mehr Erdmasse pro Jahr als die Natur durch Vulkane, natürliche Erosion und andere Phänomene.

Dabei steht für den Menschen wie für alle anderen Arten in letzter Konsequenz das Überleben im Mittelpunkt: Bei allen Naturveränderungen geht es uns um die Sicherstellung unserer Existenz und unseres Wohlergehens. In etlichen Regionen der Erde beschränkt sich dies in erster Linie auf die eigene Ernährung und Gesundheit, viele Gesellschaften haben sich mit ihrer Entwicklung aber weit davon entfernt. Energieversorgung, Telekommunikation und andere Dinge des „Wohlbefindens“ entlassen uns immer mehr aus der direkten Abhängigkeit von der Natur, wie sie ein ausgehungerter Seemann erlebt, der auf Mauritius auf einen Dodo trifft. Das erledigen für uns heute der Supermarkt und die Steckdose. Wirtschaft und Natur, so meinen wir ganz selbstverständlich, sind eher Gegensätze, als dass sie sich vertragen könnten.

Andererseits fasziniert uns die Natur: Die Komplexität, die die Evolution des Lebens hervorgebracht hat und deren Teil der Mensch ist, zieht uns in ihren Bann, im alltäglichen Leben ebenso wie in der Forschung. Naturforscher wie Alexander von Humboldt und Charles Darwin stehen hier am Anfang, und noch sind viel Fragen ungeklärt. Noch immer kennen wir nur einen Bruchteil der Arten dieser Erde – 19 000 neu beschriebene Arten sind im Jahr 2010 zu den derzeit bekannten ca. 1,7 Millionen dazugekommen. Verschiedene Schätzungen gehen davon aus, dass es mindesten fünf, vielleicht auch dreißig Millionen Arten gibt. Noch weit weniger Wissen haben wir darüber, wie diese Arten zusammenwirken; im Kleinen unseres Menschenmagens, wo Bakterien dafür sorgen, dass Nahrung effizient verdaut wird, wie im Großen bei den Regenwäldern des Amazonas, die das Klima eines ganzen Kontinents prägen.

Auch die Erforschung der Natur stand anfänglich vornehmlich im Lichte ihrer Nutzbarmachung. Lange ging es darum, nutzbare Pflanzen weltweit zu finden und zu kultivieren oder Ressourcen schlichtweg auszubeuten. Dies begann bei den Mammuts und anderen Großsäugetieren der Nacheiszeit und setzte sich fort bis hin zum weltweiten Handel mit Tee, Muskatnüssen und anderen aus europäischer Sicht exotischen Gütern, die den internationalen Warenverkehr begründeten, wie wir ihn heute kennen. Er war damit auch der eigentliche Grund für das Aussterben des Dodos, denn er sorgte dafür, dass Schiffe auf dem Weg nach Asien auf Mauritius Station machten.

Die Erforschung der Natur durch die Handelsreisenden hat aber auch dazu geführt, dass wir die Natur als Forschungsgegenstand heute anders sehen. Wir können Vorgänge im Kleinen verstehen, beeinflussen und nutzen, wie etwa die Photosynthese zur Nahrungsmittelproduktion oder die Filterwirkung eines Waldgebietes zur Trinkwassergewinnung. Mehr und mehr verstehen wir aber auch die regionalen und globalen Zusammenhänge zwischen dem Zustand der Natur, ihren Leistungen für den Menschen und welche enge Verbindung zwischen ökonomischer Entwicklung und ökologischen Grundlagen unseres Lebens und Wohlbefindens besteht. Der Gegensatz von Ökonomie und Ökologie der uns umgebenden Natur beginnt sich dabei mehr und mehr aufzulösen. Natur wird als das begriffen, was sie eigentlich ist: Grundlage und zugleich Grenze allen Wirtschaftens. Die Wertschätzung der Natur steigt.

Als ich damit begann, mich in meinem Studium mit biologischer Vielfalt zu beschäftigen, war ich gleich doppelt fasziniert. Einerseits von der Natur und ihrer Vielfalt an Daseinsformen, Netzwerken und Funktionen und davon, wie es gelingen kann, all dies zu erfassen, zu kategorisieren und zu verstehen. Andererseits war ich beeindruckt von der riesigen Vielfalt an Wissen, das wir bereits über Natur und Biodiversität besitzen. Und warum wir dieses Wissen so schlecht zu nutzen scheinen, um die Natur für den Menschen dauerhaft nutzbar zu halten und sie damit gleichzeitig zu erhalten. Mich faszinierten die Erkenntnisse darüber, wie die Natur funktioniert und in welcher Vielfalt der Mensch damit umgeht, sie nutzt und sie eben auch zerstört. Was mich verblüffte, wobei sicherlich ein Schuss Naivität eine Rolle spielte, war die Tatsache, wie wenig dieses Wissen mit dem Wissen über den Menschen verbunden war, seine Gesellschaften und sein ökonomisches Handeln.

Wenn es einen Forschungszweig gibt, der sich in den letzten zwanzig Jahren am stärksten weiterentwickelt hat und der vielleicht über den Zukunftsweg der Menschheit mit entscheiden wird, dann ist es gerade eine solche Forschung, die ökologische mit gesellschaftlich-ökonomischen Erkenntnissen verbindet. Und die Erforschung der Biodiversität, unserer Lebensgrundlage und damit auch wertvollsten Ressource, ist ein wesentlicher Teil davon.

Den Hintergrund bildet etwas, was jeden von uns persönlich betrifft: Wir alle nutzen die Natur mehr oder weniger bewusst für unsere ökonomische Situation und unser Wohlergehen. Wenn wir im eigenen Garten Salat anbauen und ihn mit Insektiziden vor Mitessern schützen ebenso, wie wenn wir uns alle fünfzehn Monate ein neues Mobiltelefon zulegen, für dessen Herstellung große Massen an Natur bewegt und genutzt wurden. Die Komplexität, die diese Beziehung zwischen sieben Milliarden einzelnen Menschen zur Natur, ihrer Gesamtwirkung als Menschheit auf den einen Planeten, auf dem wir leben, und seinen Abermillionen an Arten und Aberbillionen an Individuen besitzt, ruft Emotionen hervor. Denn es fasziniert, verängstigt und frustriert zugleich, wenn man sich auch nur kleine Einzelaspekte dieser Beziehung näher anschaut. Doch unsere Beziehung zur Natur muss auch eine stark rationale sein, denn sie ist der nullte Sektor unseres Wirtschaftens, die Grundlage für Agrarproduktion im primären, Industrieproduktion im sekundären und Dienstleistungen im tertiären Sektor der Wirtschaft.

Faszination und rationales Verständnis gehen bei der Erforschung und beim Umgang mit der Natur sehr häufig eine enge Verbindung ein. Ein belgischer Kollege, selbst ausgebildeter Biologe, fragte einmal auf einer Tagung europäische Kolleginnen und Kollegen, was der ursprüngliche Grund gewesen sei, weswegen sie sich in ihrer Ausbildung und später im Berufsleben mit der Natur beschäftigten. Zunächst fielen die Antworten sehr vielfältig aus. Eine französische Kollegin nannte die Filme von Jacques Cousteau über die Ozeane, andere erwähnten den Biologieunterricht, wieder andere, mich eingeschlossen, das Spielen im Freien und das Erleben von Natur in der Kindheit. Für mich war der Feriensommer auf der Insel Juist im ostfriesischen Wattenmeer entscheidend, den ich jährlich mit Dünenerkundung, dem Fangen von Tieren im Priel und anderen Strandabenteuern verbrachte. Ein Kollege meinte, für ihn habe es wohl mit Superman zu tun gehabt – wie der Eis und Feuer beherrschte, das habe ihn immer fasziniert (vom Fliegen-Können ganz zu schweigen). Doch bei all ihrer Vielfalt liefen alle Aussagen zuletzt auf drei typische Bilder hinaus: Entweder gab es ein Vorbild in der direkten Umgebung, wie Eltern oder Biologielehrer; oder es kamen Heroen des Fernsehens ins Spiel – neben Jacques Cousteau sicherlich David Attenborough oder in...

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